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Thron der Götter
Eine Reise zum Mt. Kailash in Westtibet

von Andreas Pflügler

Diese Reise fand im Juni und Juli 2002 statt. Ziel war es, von Kathmandu (Nepal) aus, den Berg Kailash zu erreichen und zu umwandern.

Der allerheiligste Berg Asiens steht in einem fernen Winkel von Westtibet, durch wildzerklüftetes Land nahezu von der restlichen Welt abgeschnitten. Für Pilger aus vier Religionen, Buddhisten, Hindus, Jains und Bönpos ist diese 6714 m hohe Felspyramide Thron ihrer Götter und "Nabel der Erde"; ein Ort, an dem das Göttliche irdische Gestalt annimmt.Der 6714 m hohe Mt. Kailash Seit weit über tausend Jahren reisen die Pilger dorthin, um dem Mysterium des Berges zu huldigen, indem sie ihn nach einem alten, bis heute lebendig gebliebenen Ritual umwandern.

Im Kailash ist das mythische Bild Merus, des großen Berges im Mittelpunkt des Weltalls, verkörpert. Meru steht, in der siebenten Hölle wurzelnd und mit dem Gipfel in den höchsten Himmel vorstoßend, im Zentrum der religiösen Kosmographie Asiens. Er ist die Achse, um die die Gesamtheit der Schöpfung kreist, der "Weltenpfeiler" und der "Erste aller Berge".

Als Urbild der göttlichen Mitte steht Meru in einem für sterbliche Augen verborgenen Reich. Das Bestreben des Menschen, seine Ideale in greifbarer Form zu veranschaulichen, gipfelten in der Verehrung des Kailash,Manasarowar wohl seiner Form und seiner Umgebung wegen. Für die Pilger, welche ihn auf dem einundfünfzig Kilometer langen Rundweg umwandern, ist der Kailash der in Eis und Schnee verkörperte Meru, und ein einziger Rundgang wischt die Sünden des ganzen Lebens hinweg. Ihrem Glauben nach ist nicht allein die Eiskappe des Gipfels, sondern die ganze Gegend Wohnsitz der Götter und heiliges Land. Seine Weihe verdoppelt sich noch durch die Nähe des Sees Manasarowar, eines vierundzwanzig Kilometer durchmessenden, tiefblauen Wasserauges und einer der ältesten heiligen Stätten der Menschheit.

See und Berg sind die Kronjuwelen eines Landes des klaren Lichts und der starken Farben, wie es die dünne Atmosphäre in fünftausend Meter Höhe erzeugt. Die kahlen, windgepeitschten Ebenen, die Intensität des Himmels und die Reihen der schneebedeckten Bergriesen bilden einen angemessenen Hintergrund für die blendende Schönheit des Kailash. Sven Hedin schrieb einst, dass es sich um die harmonischste Landschaft der Erde handle. Dieser "heilige Winkel" zwischen Himalaja und Transhimalaja ist Tibet konzentriert! Um sich dieses Erlebnis zu "verdienen", muss man wahre Strapazen auf sich nehmen! Zwar führen heute Straßenpisten bis zum Fuß des Berges auf 4800 m Seehöhe, und man muss nicht mehr monatelange Fußmärsche auf sich nehmen, um ihn zu erreichen, doch wegen des grauenhaften Zustandes dieser Pisten benötigt man vier volle Fahrttage von Kathmandu aus. Rechnet man noch ein Minimum an notwendiger Höhenanpassung dazu, so beansprucht es sechs Tage, um ihn zu erreichen.

Innerhalb kürzester Zeit organisierten wir neben den notwendigen Genehmigungen auch einen Geländewagen, ohne den es kein Vorwärtskommen gäbe. Der nahende Monsun schickte bereits erste Vorboten, als wir an einem wolkenverhangenen und schwülen Tag im Juni in Kathmandu starteten.Kinder in Nyalam Die Strecke führt zuerst durch gewaltige Schluchten, die den Hohen Himalaja zwischen 7000 m hoch aufragenden Berggiganten durchbrechen. In Nyalam, der ersten tibetischen Ansiedlung blieben wir zwei Tage, um uns an die Höhe anzupassen! Wanderungen führten uns auf den Spuren von Peter Aufschnaiter zum Tara Tso (See), welchen ein Wald von Steinmännchen umgibt, die fromme Pilger hier aufgeschichtet haben!

Schließlich führt die hier noch gute Straße hinauf auf den 5200 m hohen Pass Tong La. Aufgrund einer Laune der Geologie liegt die Wasserscheide des Himalajas fast hundertundfünfzig Kilometer nördlich seiner höchsten Gipfel.Und so bietet sich vom Tong La eines der grandiosesten Panoramen der Welt: Vor uns, im Süden reichen die eisbedeckten Himalajariesen bis in den Himmel. Monsunwolken branden auf nepalesischer Seite an dieses Gewirr aus Fels und Eis. Rechterhand erhebt sich der niedrigste der 8000er, der Shishapangma und hinter uns fällt das Land kaum merklich ab, erstreckt sich das tibetische Hochplateau:
Gebetsfahnen am Tong LaNackte Hügel am Hochplateau
Alles Unwesentliche scheint abgestreift, wie um die Schönheit der Erde in ihrer ursprünglichen Farbe und Form aufzuzeigen. Nackte Hügel, rosa, violett und leuchtend orange, ziehen in Wellen in die Ferne; ein weiter, erstarrter Ozean aus Land, dessen Wogen und Falten wie willkürlich geformt erscheinen. Über die Unendlichkeit spannt sich der Himmel wie in den ältesten Mythen. So wie die Landschaft überirdisch, ist auch der tibetische Himmel ein Märchen, ein Traum. Das Wort "blau" wird seiner Intensität nicht gerecht; es ist ein Farbton so tief und rein, dass alles ringsum dagegen verblassen würde, wenn das Licht nicht alle Formen mit plastischer Klarheit herausarbeiten würde. Jeder Grashalm, jeder Stein steht von den übrigen abgegrenzt da, auf unbegreifliche Weise vom Licht umströmt. Wenn irgendwo auf der Welt, so existieren die Götter hier, in dieser reinen, kalten Luft, als unmittelbare Erfahrung, als berührbare Gegenwart.

Der Kailash steht in der Ngari-Region, in Westtibet, in einer der höchstgelegenen, einsamsten und wüstesten Gebiete unseres Planeten. Um dorthin zu gelangen, fuhren wir nun drei Tage lang auf den schlechtesten Pisten, die man sich vorstellen kann, immer im Süden den Himalaja als vertrauten Begleiter an unserer Seite. Vorbei an den Nordflanken des Shishapangma, vorbei an den Fluten des Tsangpo (der Fluss Brahmaputra), vorbei an den wenigen, einsamen Siedlungen, keuchte unser Toyota gen Westen. Unser tibetischer Fahrer vollbrachte wahre Wunder, kutschierte uns sicher und gesund hin und zurück. Außer ein paar nomadischen Hirtenfamilien streifte nur der Wind über die leeren Talungen. Nach herkömmlichen Maßstäben wäre es ein kahles, unfruchtbares Ödland, doch scheint sich die Gegend, wie ein großer Teil Tibets, über solche Einstufungen hinwegzusetzen. Was andernorts kahl ist, wirkt hier lichtvoll und frei. Gerne erinnere ich mich an diesen LagerplatzLagerplatz in Paryang in Paryang in 4800 m Seehöhe, wo wir unsere Zelte in Nachbarschaft eines Nomadenlagers aufschlugen: Die Sonne überstrahlte ein flaches Rund, begrenzt von den niedrig wirkenden Siebentausendern im Süden und durchzogen von unwirklichen Sanddünen, geformt von Fluss und Wind.

In diesem Raum, in solcher Stille fühlt sich der Mensch überflüssig und fehl am Platz. Das Land beherrscht ihn, nicht er das Land, und in dessen Grenzenlosigkeit spürt er die Gegenwart höherer, unsichtbarer Kräfte. Alte Tibeter wissen, dass ihr Land von Heerscharen unsichtbarer Götter, Dämonen und Geister bewohnt ist. Diese herrschen über Erde, Luft und Wasser, bewachen die Pässe und Furten, wohnen inmitten eines jeden Haushaltes und unter der Kuppel eines jeden Zeltes.

Als wir schließlich den Kailash erreichten, bereits übervoll mit Eindrücken, verhüllte er sich in dichten Wolken. Schneetreiben, Sonne, Regenschauer wechselten sich jede halbe Stunde ab. Doch die Unbillen des Wetters und die kräftezehrenden Anstrengungen der tagelangen Fahrt hielten uns nicht davon ab, uns auf die dreitägige Umrundung des Berges zu machen. Unser Gepäck wurde auf angemieteten Yaks vertäut. Der Yaktreiber kümmerte sich rührend, erhoffte er sich doch ein dickes Trinkgeld, das er für seine Flucht nach Indien benötigt. Ja, selbst nach 50 Jahren der chinesischen Besetzung von Tibet, leben die beiden Völker immer noch nebeneinander, nicht miteinander! Der Kailash von NordenUnd viele 1000 Tibeter fliehen Jahr für Jahr nach Indien, wo der Dalai Lama eine Exilregierung gebildet hat! - Tausend Jahre lang blieb die Tradition, zum Kailash zu pilgern, ungebrochen, und der Glaube, der sie trieb, war so stark, dass nur eine Katastrophe ihr Einhalt gebieten konnte. Die Katastrophe kam 1950, als die chinesische Armee in Tibet einfiel. 1959 unterbrachen sino-indische Grenzzwischenfälle die Pilgerroute der Hindus über den Himalaja. Wenige Jahre später explodierte die Kulturrevolution in China, und nirgends tobte sie sich brutaler aus, als im besetzten Tibet. Die Gewalt äußerte sich als konzertierter Angriff auf die tibetische Kultur, mit dem Buddhismus als Hauptziel. Denkmäler und Klöster wurden abgerissen, ihre Fresken verunstaltet, Statuen zertrümmert, Bibliotheken verbrannt und Mönche in die Arbeitslager deportiert. Jede religiöse Äußerung und jedes Überbleibsel der alten "Feudalgesellschaft" wurde angegriffen. So legten die Roten Garden die Axt an die Wurzeln der tibetischen Identität, denn diese Kultur, diese Kunst, diese Lebensart und seine Religion sind untrennbar miteinander verwoben.

Das Kailashgebiet musste vergleichsweise weniger Gewalt über sich ergehen lassen, doch mussten, da Religionsausübung verboten war, die wenigen Pilger den Berg heimlich und in einer einzigen Nacht umwandern. Chinas Tibetpolitik begann sich erst 1980 zu lockern. 1981 kam es zu einem Abkommen mit Indien, demzufolge die erste hinduistische Pilgergruppe seit zweiundzwanzig Jahren Kailash und Manasarowar besuchen konnte. Trotz eiliger Wiederaufbauversuche blieben die Verwüstungen unübersehbar. Von den dreizehn Klöstern und zahllosen Denkmälern, die einst den Pilgerweg gesäumt hatten, war keines übriggeblieben.Manisteine und Mantras am Wegrand Die einzigen Überbleibsel waren ein paar zerfallende Mauern und die Steinhaufen, die die Tibeter aufgeschichtet hatten, um die Orte ihrer einstigen Kultstätten zu markieren. - Heute hat sich die Lage wieder geändert. Den Tibetern wird ein gewisser Grad an religiöser Freiheit zugestanden, die Pilger kehren in größerer Zahl zum Kailash und Manasarowar zurück, und die Klöster sind wieder erstanden.

Wir umrundeten den Kailash im Uhrzeigersinn, gemeinsam mit Hunderten tibetischen und indischen Pilgern. Trotz oder gerade wegen der Heiligkeit des Gebietes und trotz der ungeheuren Anstrengungen, in dieser Höhe sein eigenes Körpergewicht voran zu schleppen, herrschte eine angenehme und nahezu ausgelassene Fröhlichkeit. Viele Gespräche entspannten sich, vielen Geschichten lauschte man und alle waren beseelt davon, diese Wanderung um den Berg unternehmen zu dürfen. Nirgendwo auf all meinen Reisen erkannte ich das alte Sprichwort "Der Weg ist das Ziel" als so wahr, wie hier. Und das ist auch auf eine Art gemeint, die nach innen gerichtet ist!

Höhepunkt der Wanderung ist am zweiten Tag die Besteigung des 5660 m hohen Dolma La (Pass). Lung-Tas und Kräuter für die GötterAn diesem erhabenen Punkt der Landschaft weisen aufgeschichtete Steinhaufen und flatternde Gebetsfahnen die Geographie des Glaubens. Jeder Schritt hat seine eigene Legende, jeder Fels, jeder Hügel, jeder Quell seinen eigenen Gott; ein Überquellen von Mythen und Glauben, welches durch seine Üppigkeit die Gegenwart des Göttlichen bezeugt. Alle sind fröhlich, Lung-Tas ("Windpferde", mit Gebeten bedruckte Zettelchen) werden in die Höhe geworfen, aus einem steinernen Räucherofen steigen wohlriechende Düfte in den tiefblauen Himmel, Fotoapparate klicken, Essen wird herausgekramt. Es herrscht Volksfeststimmung, hier, an einem der abgelegensten Plätze der Welt.

Chiu Gompa am ManasarowarNun folgt man dem östlichen Tal wieder hinaus auf die große Ebene am Fuße des Kailash, welche Schluss endlich hinlenkt zum Manasarowar und zum Rakas Tal, den beiden großen Wasserflächen, den heiligen Seen. Am Ufer des Manasarowar steht das Kloster Chiu, hoch oben auf einer Klippe. Sein Besuch bildete einen weiteren Höhepunkt unseres Aufenthaltes in dieser "heiligen Ecke" Tibets.

Auf unserer tagelangen Reise zurück Richtung Nepal, unternahmen wir einen Abstecher nach Tingri, dem Tor zum Mt. Everest und zum Cho-Oyu. Blicke auf den "Berg der Berge" zu werfen, bildete einen würdigen Abschluss unseres Tibetaufenthaltes 2002. Schon bald umfingen uns wieder die dampfenden Bergregenwälder Nepals und die Zivilisation eines hektischen Kathmandu.


Diskussion zum Thema Tibet im Trekkingforum / Board Tibet.
Fotos zu diesem Thema in den Weltbildern / Kategorie Tibet.
Andreas Pflügler, Jahrgang 1966, ist Geologe in Kitzbühel und Webmaster dieser Seite. Seit 1987 bereist er jedes Jahr für mehrere Wochen oder Monate Asien, wobei ihn insbesondere die Weite und die Gelassenheit dieses Kontinents faszinieren.



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