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Varanasi - Stadt der Götter
...an den heiligen Wassern des Ganges...

von Andreas Pflügler

Als Gott Shiva die Schuld des Brahmanenmordes auf sich lud, gebot ihm Gott Vishnu zu den Ufern der heiligen Ganga zu gehen, um sich von seiner Blutschuld reinzuwaschen. An der Stelle, wo Shiva sich wusch, entstand die heilige Stadt Varanasi oder Benares, wie sie im Westen genannt wird.

Varanasi, die heilige Stadt am Ganges ist das »Mekka« der Hinduisten. Scharen von Hindu-Pilgern aus ganz Indien ziehen Jahr für Jahr an ihre Pforten, um sich an den Ghats, den Stufen, die hinunter zum Wasser des Ganges führen, von allen Sünden freizuwaschen, wie es einst Shiva tat. Und so ist die Bezeichnung Stadt auch nicht genug, um Varanasi in all seinen Wesensformen zu beschreiben. Die Pilger sprechen mit Stolz von der Stadt des Lichts, vom Wald der Wonne, von der von Shiva nie Verlassenen oder vom Mahasmasana, dem Großen Verbrennungsplatz. Und letzterer Ausdruck weist auf die wohl bekannteste »Sehenswürdigkeit« hin, die auch westliche Touristen mit schauriger Neugier zu besuchen trachten: den Ghats, an denen die Leichen verbrannt werden. Für den Hindu gilt es als besonders verdienstvoll, sein Leben in Varanasi auszuhauchen und am Gangesufer verbrannt zu werden, um so direkt ins Nirwana einzutreten.

die »Skyline« von VaranasiKommt man als Tourist nach Varanasi, braucht man Zeit! Zeit zum Besichtigen der unzähligen Tempel, Zeit, um das lebendige Treiben der Menschen zu betrachten und Zeit, um die Stadt zu mögen. Denn Varanasi ist eine unvorstellbar dreckige Stadt. Auch findet man keinen eigentlichen Tempelbezirk, sondern die heiligen Stätten sind über die ganze Stadt verstreut. Den Hindus sind nicht Schönheit oder Altertümer wichtig, sondern die geheiligten Plätze. Deshalb entdeckt man oft »moderne« Schreine, kitschig, bunt-gekachelt, ohne Atmosphäre, deren Bedeutung man erst an der Zahl der Pilger ermessen kann.

Ich verbrachte viel Zeit an den Ghats. Man kann kilometerweit, wie an einer Strandpromenade dahinwandern. Es gibt 84 Ghats, die alle Ähnliches, aber im Detail durchaus Varianten bieten.Pilger mit einem Pandá Da sind natürlich die Badeghats, wo sich Pilger unter Anleitung von Brahmanen, sogenannten Pandás, von den Sünden reinwaschen, Kinder planschen, Banársi, die Einwohner der Stadt, ein Bad nehmen, Bootsleute auf Kundenfang sind - »Okay Sir, boatttt....« - und Gläubige im Wasser stehen und mit aufgeblasenen Wangen immer wieder Shiva anrufen. Dann gibt es die Tobi-Wallah-Ghats, jene Flußtreppen, wo Kleider gewaschen werden; in mühsamer Handarbeit wird die Wäsche auf schief in den Fluß gesetzte Steinplatten ausgeschlagen, nachdem Unmengen von Seifenlauge aufgetragen wurde. Vielleicht glaubt man, den Dreck erschlagen zu können? Auf alle Fälle wird die so malträtierte Wäsche gleich wieder ihrer Bestimmung zugeführt, nämlich schmutzig zu sein, denn zum Trocknen legt man sie einfach am Ufer aus, vorher nur notdürftig die Rindernotdurft beseitigend. Und weil ich schon bei den Tieren bin... Einige Ghats haben Wasserbüffelherden in Beschlag genommen, die dort höchst genußvoll ihren Lieblingsbeschäftigungen nachgehen: laut rülpsend wiederkäuen, und wunderschöne Fladen kunstvoll an den Treppen anbringen, wohl wissend, dass ihre diesbezüglichen Bemühungen nur von kurzer Haltbarkeit sind, weil eigens dafür »ausgebildete« Kinder dieselben schwungvoll, in möglichst frischem Zustand in einen Korb befördern, der wenig später zum Austragen von Obst dient. - Die Wasserbüffel sind unangenehme Zeitgenossen. Anders als die (heiligen) Kühe, denen man in den Gassen, wo sie leben, fast freundschaftlich auf den Rücken klopft, treten sie immer im Gänsemarsch auf, stur ihrem Leittier folgend, welches anscheinend gezielt die Diretissima bevorzugt, Gemüsehändler, Bettler und erschrockene Touristen zum eiligen Springen in schützende Hauseingänge nötigend.

Zurück zum Wasser: Am berühmtesten sind natürlich die beiden burning ghats, die Orte, wo täglich 24 Stunden lang etwa 200 Leichen verbrannt werden. Es gibt die Ghats für niedere, mittlere und hohe Kasten, die sich nur darin unterscheiden, dass indirekt proportional zur Kastenzugehörigkeit des Verstorbenen der Dreck an den Verbrennungsplätzen weniger und die Preise für´s Verbrennen entsprechend höher sind. Unmengen Holz wird aufgeschichtet, die Leiche ganz oben draufgelegt und nach den nötigen Ritualen alles angezündet. Da es auch zum Ritual gehört, daß Gangeswasser mit auf den Scheiterhaufen kommt, gibt es jedesmal ein großes Aha-Erlebnis, daß selbiges trotz aller Heiligkeit nicht brennt und zum Löschen des Feuers neigt. Als Gegenmaßnahme wird diese Tatsache zielsicher ignoriert, die Leiche für verbrannt erklärt und die angebliche Asche - in Wahrheit jedoch teilweise noch erkennbare verkohlte Körperteile - dem Fluß übergeben, was möglicherweise die Fische freut, aber weniger das städtische Wasserwerk, das regelmäßige Verstopfungen an den Pumpanlagen zur Trinkwasserversorgung beklagt. Aber das ist eben der Fluch der Heiligkeit. Dem Feuergott Agni werden nur gesunde Leute geopfert, respektive ihre toten Körper, wahrscheinlich weil diese fähig waren, für dieses Privileg einige Arbeitsjahre aufzuwenden, um die Dôm, die Feuerpriester, bezahlen zu können. All die anderen Toten, also Kranke, Siechen und Lepröse (vor ihrem Ableben natürlich), sind nach den Hindu-Glauben schon von den Göttern geholt worden, und dürfen dem Feuer nicht mehr übergeben werden. Ein »Pflichtpriester« Sadhu vollzieht in Eile die Rituale, weil kein Geld mit diesem Kunden zu machen ist, dann wird die Leiche recht formlos in den Fluß geworfen, vorher jedoch zur umweltfreundlichen Wiederverwendung das Leichentuch entfernt. Göttin Ganga (der personalisierte Fluß Ganges) bedankt sich, und rächt sich damit, dem nächsten Frommen, der, weil rituell vorgeschrieben, Wasser aus ihr trinkt, all die Bakterien, Viren und sonstigen Grauslichkeiten anzuvertrauen, nicht ahnend, dass ihr auf diese Weise bald ein nächstes Opfer übergeben werden wird. Aber in Indien sind eben nicht einmal die Götter allwissend. Vielleicht haben die gläubigen Hindus ja recht, und es geschehen Wunder am Ganges, denn wie wäre es sonst erklärbar, daß am jenseitigen, nicht verbauten Flußufer Wildtiere leben: einbeinige Enten, dreiäugige Fische, deren sehnlichster Wunsch es eigenartigerweise ist, an Land zu springen, wahnsinnige Ziegen und Geier, völlig gesund und ganz in ihrem Element!

Kommen wir zu den Banársi: Allein hier zu leben ist derart verdienstvoll, daß man nach dem Tod gleich ins Nirvana kommt. Und vollzieht man die Waschrituale am Ganges, fliehen sofort alle Sünden den Gläubigen. Als Banársi braucht man also nur den Glauben und die Energie, hin und wieder zum Fluß hinunter zu gehen. Wie bequem das doch ist! Lügen? - Kein Problem: runter zum Ganges! - Nichtsahnende Touristen über´s Ohr hauen? - Kein Problem: Göttin Ganga verzeiht. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Und trotzdem sind sie liebenswerte Menschen, denen man ihre kleinen Fehler gerne verzeiht.

Leid taten mir die Tiere, die in den engen Gassen von Varanasi leben. Hauptsächlich Kühe und Hunde - die in Indien allseits anwesenden Rhesus-Äffchen leben mehr über den Straßen. Kühe haben es schwer in oft kaum kuhbreiten Gassen. Gott-sei-Dank sind sie orientalisch schicksalsergeben und stören sich nicht an Fußgängern, die oft als letzte Möglichkeit, weiterzukommen, über sie hinwegklettern. Wohlgenährt sind sie ja - die Kühe -, weil sie prinzipiell alles fressen, vom Nylonsackerl bis zu Kerzenwachs. Es ist amüsant, sich die Rinder am Abend an bevorzugten Kreuzungen versammeln zu sehen - Treffpunkte der lokalen Kühe - sozusagen.

Doch genau das gehört zu Varanasi, wie auch die Händler, die zahlreichen Polizisten, die lästigen Bootsleute, die Masseure, die an den unmöglichsten Plätzen ihre Dienste anbieten, die Bettler, die Leprösen, die »Heiligen«, die Seidenweber, die Zuckerbäcker, die Musiker und die Touristen.

Mir gefiel es in Varanasi, und ich freue mich auf einen neuerlichen Besuch.


Andreas Pflügler, Jahrgang 1966, ist Geologe in Kitzbühel und Webmaster dieser Seite. Seit 1987 bereist er jedes Jahr für mehrere Wochen oder Monate Asien, wobei ihn insbesondere die Weite und die Gelassenheit dieses Kontinents faszinieren.


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